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Wenn Religion nicht dazugehören soll …

Sigmar Salzburg

In meinem Elternhaus bin ich religionsfrei aufgewachsen. Nur, wenn ich mich mit meiner Schwester zu sehr gestritten hatte, sagte meine Großmutter bisweilen: „Man hätte euch doch sollen christlich erziehen!“ Nach meiner Überzeugung und inzwischen siebzigjährigen Lebenserfahrung ist „Gott“ nichts als ein menschliches Phantasieprodukt. Obwohl immer mehr Menschen diese Ansicht teilen, beanspruchen doch die Anhänger der alten Gottgläubigkeit eine unangemessene Vorrangstellung, besonders in der Erziehung der Jugend an den Schulen. Welche Erfahrungen ich damit machte, möchte ich hier mitteilen.

Eigene Erfahrungen als Kind und Schüler

Meine Mutter trat schon als junges Mädchen aus der evangelischen Kirche aus – und wurde von ihrem Vater aus dem Hause geworfen. Auf dem Standesamt sagte man ihr: „Was, Sie wollen aus der Kirche austreten – jetzt, wo alle Welt eintritt?“ Das Konkordat der Nazis hatte 1933 der Religion einen großen Zulauf verschafft. – Mein Vater war mit lateinischen Bibelversen katholisch erzogen worden. Erst mit zwanzig konnte er sich eine deutsche Bibel leisten, las sie von Anfang bis Ende durch und trat aus der Kirche aus.

An meine erste Begegnung mit der Religion habe ich keine Erinnerung: Die katholische Hebamme entsetzte sich gleich nach meiner Geburt gegenüber meiner Mutter: „Was, Sie wollen das Kind nicht taufen lassen? Wenn nicht katholisch, dann doch wenigstens evangelisch! So wird er nie die Herrlichkeit Gottes schauen!“

Fünf Jahre hörte ich dann nichts von „Gott“ und Glauben. Dann schlachteten Nachbars Kinder ihr Kaninchen. Sie schlugen es solange gegen die Mauer, bis es tot war. Darauf legten sie die Vorderpfoten zusammen und sagten: „Jetzt betet er zu Gott“. In der einklassigen „Volksschule“ war ich vom Religionsunterricht befreit, hörte aber beim stillen Schönschreiben nebenan die biblischen Mordsgeschichten. In der vierten Klasse vergaß meine Mutter die Abmeldung, ich blieb im Unterricht, meldete mich aber im ganzen Jahr nur einmal zu Wort: „Wo kommen die Menschen her, wenn doch Adam und Eva nur noch einen Sohn hatten?“

In den unteren Schulklassen bemühten sich die Schulen sogar, die Religionsstunden an den Anfang oder ans Ende der Unterrichtszeit zu legen, damit ich ohne Schwierigkeiten ausweichen konnte. Als jedoch mein eigener Nachwuchs eingeschult wurde, hatte man die Stellung der Religion unangenehm verstärkt. Mir wurde nur die Wahl gelassen, die Kinder entweder dem Religionsunterricht auszusetzen oder einen beliebigen Ersatzunterricht in einer Parallelklasse in Kauf zu nehmen. Konfessionsfreie Schüler konnten diese Regelung nur als Strafmaßnahme für die Nichtteilnahme am Religionsunterricht empfinden. Die damit verbundenen Ärgernisse wirkten fünf Jahre lang in meine Familie hinein.

Erlebnisse als Vater schulpflichtiger Kinder

Schon von der Grundschule wurde ich bedrängt, meine Kinder doch im Religionsunterricht zu lassen. Auf meinen Protest erklärte ein Herr Kunkat aus dem Bildungsministerium, vom Religionsunterricht abgemeldete Kinder erhielten laut Schulgesetz „stattdessen einen anderen Unterricht“, „der ab Klassenstufe 5 Philosophie zum Inhalt hat“ ( es ging aber um die ersten vier Klassen). Ein versehentlich mitgeschickter interner Vermerk enthüllte das wahre Ziel: „Es ist gerade die Intention des Gesetzgebers, durch das Angebot anderen Unterrichts … eine Verkürzung des Unterrichtsangebotes für vom Religionsunterricht abgemeldete Schüler auszuschließen.“

In der Schule wurde es unerfreulicher: Eine fundamentalistische Lehrerin behielt unseren Sohn ohne unser Wissen im Religionsunterricht. Plötzlich stellte er zu Hause beängstigende Fragen: Warum Abraham seinen Sohn schlachten sollte, ob das Blut geflossen sei; ob wirklich alle Tiere in die Arche hineingingen und anderes mehr. Auch christliche Eltern beschwerten sich über diesen bibeltreuen Unterricht, und als ich meine Frau überzeugt hatte, dieser Lehrerin unseren Sohn zu entziehen, sagte diese: „Beten Sie für Ihrem Mann, damit er wieder auf den rechten Weg findet.“

Vom Gymnasium meiner Tochter forderte ich 1997 wiederum die Befreiung vom Ersatzunterricht und wollte sie höchstens zur Beaufsichtigung dort lassen. Obwohl es doch nur um „anderen Unterricht“ und nicht um Religion ging, meldete sich der Vertreter der Fachaufsicht Religion, OStD Köhnke: Der Gesetzestext fordere nicht Beaufsichtigung, sondern die Teilnahme am Unterricht.

Als im neuen Schuljahr die Religionstunde in der ersten Stunde lag, fuhr ich meine Tochter, die in den überfüllten Bussen erheblich unter Asthma litt, erst zur zweiten Stunde in die Schule. Ich wurde aber sogleich handschriftlich von der Klassenlehrerin belehrt, sie habe zur ersten Stunde zum Ersatzunterricht (jetzt Biologie) zu erscheinen. Dies wollte man ihr nur auf ärztliches Attest erlassen, das jedoch die erzchristliche Kinderärztin verweigerte. Nach einem halben Jahr war es meine Tochter leid, ständig eine Sonderbehandlung zu erfahren. Sie bat, im Religionsunterricht zu bleiben zu dürfen; es sei ohnehin nur eine Schlafstunde.

Unseren Sohn meldeten wir an der Realschule Altenholz an, weil dort erstmals in der unteren Klassenstufe Philosophie unterrichtet werden sollte. Als die Schule diesen Unterricht doch nicht zustande brachte, wurde ich von der Religionslehrerin bedrängt, ihn in ihrem Unterricht zu lassen. Es würden vorerst nur Gemeinschaftskundethemen behandelt. Da ich mit einem baldigen Erfolg meiner laufenden Klage gegen den Ersatzunterricht rechnete, stimmte ich einem einstweiligen Verbleib zu.

Ministerien und Gerichte agierten allein im Interesse der Kirchen

Meine Klage hatte ich, zunächst ohne Rechtsbeistand, gegen das Bildungsministerium als Urheber der beanstandeten Erlasse gerichtet. Sehr zu meinem Erstaunen war jedoch jede Schule einzeln zu verklagen. Wir konnten dies noch im letzten Moment umformulieren. Das Gericht hatte sich aber nur auf eine bequeme Abweisung meiner Klage vorbereitet. Außerdem hatte es den Hinweis auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes Wiesbaden übersehen, in dem das baden-württembergische Kultusministerium unter Annette Schavan dazu verurteilt worden war, das Ersatzfach Ethik gleichwertig auszugestalten. So wurde meine Klage zunächst abgewiesen.

Nun wollte ich meinen Sohn wieder aus dem Religionsuntericht herausnehmen. Doch der Schulleiter erklärte mit Unterstützung der Schulbehörde, die sich wieder beim Bildungsministerium rückversichert hatte, das Verbleiben des Jungen im Religionsuntericht habe als Anmeldung zu gelten, und nun sei eine schriftliche Abmeldung mit Unterschrift beider Eltern nötig. Persönlich meinte er, die Herausnahme aus dem Religionsunterricht sei „ein Verbrechen an Ihrem Kind“. Ich „entzog“ daraufhin meinen Sohn dem Religionsunterricht und sandte eine Beschwerde an das Bildungsministerium. Diese wurde zwischen dem Ministerium und dem Schulamt hin und her geschoben, ehe ich schließlich die Mitteilung erhielt, bis zur gerichtlichen Klärung im Revisionsverfahren dürfe mein Sohn anstelle der Religion in den Mathematikunterricht. Um meine jüngste Tochter wurde ähnlich gefeilscht, obwohl oder gerade weil fast die Hälfte ihrer Grundschulklasse konfessionslos war, wie eine versehentlich offenliegende Liste zeigte.

Erst nach langem Rechtsweg halbwegs elterliche und kindliche Rechte durchgesetzt

Vom Gericht hatte ich bisher nur Oberflächlichkeit und Parteilichkeit in Schulsachen erfahren. Erst in der Revisionsverhandlung ein Jahr später bot sich ein günstigeres Bild.

Der Vorsitzende Richter zitierte die entscheidenden Stellen des Urteils des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.6.1998 und sagte, man müsse der Klage wohl stattgeben. Leibesübungen und Mathematik seien auf jeden Fall nicht nicht als gleichwertig gegenüber dem Religionsunterricht anzusehen.

Dr. Fromm vom Bildungsministerium verwies auf die notwendige Beaufsichtigung der Schüler. Es sei auch der Vorschlag gemacht worden, die Kinder im Religionsunterricht zu lassen und anders zu beschäftigen. Das provozierte die Frage, wie sie denn weghören sollten. Wenn kein gleichwertiger Unterricht angeboten werden könne, müsse man den Schülern eben freigeben. Und wenn es sich nicht um Randstunden handele, sollten andere Wege der Beaufsichtigung gefunden werden:

„Ja, Herr Dr. Fromm, nun müssen Sie Ihren Erlaß wohl ändern!“ – Herr Dr. Fromm versicherte, diese Tendenz läge ganz auf der Linie seines Ministeriums. – „Dann sind wir für Sie ja anscheinend doch noch eine Autorität.“ – Dem stimmte Dr. Fromm ausdrücklich zu.

Die Entscheidung des Gerichtes vom 7. Dezember 2001(OVG Schleswig Az. 3L 6/00) zwang das schleswig-holsteinische Bildungsministerium, seine Förderung der Religion zu Lasten der Konfessionslosen einzuschränken.

Es bleibt aber dennoch viel zu tun

Die bestehenden Erlasse und Gesetze wurden aber nicht geändert, sondern nur ihre Handhabung. An den höheren Schulen wurde das Angebot an sogenanntem Philosophieunterricht verbessert, jedoch für die Grundschulen unternahm die Bildungsministerin keinerlei Anstrengungen, den bestehenden Zustand zu ändern. Es gibt für Grundschüler immer noch keinen gleichwertigen Ersatzunterricht. Das will seit 2008 eine Elterninitiative „ProPER“ ändern – „Für Philosophie, Ethik und Religionskunde“.

Sigmar Salzburg

Dieser Text wurde zuerst am 1. Juni 2009 bei www.gezeiten.shz.de veröffentlicht. Inzwischen ist er dort nicht mehr allgemein zugänglich. Jedoch wurde er später bei http://www.freigeist-weimar.de weiterverbreitet. Die dort hinzugefügten Zwischenüberschriften habe ich hier übernommen.