Vor Jahrzehnten fiel mir die Verwandtschaft sumerischer und chinesischer Wortwurzeln auf. Eine dazwischenliegende Sprachstufe wäre also das Tibetische. Vergleiche brachten Übereinstimmungen zutage, die bei der zeitlichen Ferne der Sprachen schon erstaunlich waren. 1991 erarbeitete ich eine 124seitige Zusammenstellung und sandte sie an einige Fachleute. Der Sumerologe Prof. Joachim Krecher teilte nur kurz mit, daß er kein Tibetisch verstünde. Der Sinologe Prof.Ulrich Unger schrieb, daß er den gleichen Gedanken verfolge und legte ein Arbeitsblatt bei mit seinem Vergleich zur Lepcha-Sprache. Er hat dazu aber anscheinend nichts veröffentlicht. Jetzt sehe ich, daß bei Wikipedia immer noch die Sage von der isolierten Sprache verbreitet wird:
»Sumerische Sprache – Wikipedia
Posted on November 29, 2021 by lordneoSumerisch ist ein Sprachisolat. Seit der Entzifferung ist es Gegenstand vieler Bemühungen gewesen, es mit einer Vielzahl von Sprachen in Verbindung zu bringen. Da sie als eine der ältesten Schriftsprachen ein besonderes Ansehen genießt, haben Vorschläge zur Sprachverwandtschaft manchmal einen nationalistischen Hintergrund…
Zu den vorgeschlagenen Sprachpartnern gehören:
• Kartvelische Sprachen, Mundasprachen, Dravidische Sprachen, Uralische Sprachen oder allgemeiner ural-altaische Sprachen, Baskische Sprache, Nostratische Sprachen
• chinesisch-tibetische Sprachen, insbesondere tibeto-burmanische Sprachen (Jan Braun nach CJ Ball, V. Christian, K. Bouda, und V. Emeliyanov)«sumerische-sprache-wikipedia/> wikigerman.edu.vn [gekürzt]
Da die Technik die Sprachvergleiche erleichtert hat, habe ich meine alten Spekulationen noch einmal überprüft und einerseits eine umwerfende Übereinstimmung in vereinzelten einfachen Wörtern bestätigt gefunden. Hier zunächst nur ein Fünfer-Gleichnis:
sug6 „to repay a loan; to replace“
སོག་པ་ „sog-pa“ meet (Coblin)
sug4 „(to be) empty; … to cut clear, strip “
ཤོང་བ་ „šoĝ-ba“ to empty, remove, carry, take away
sug „reed-bed, marsh“
སོག་ „sog“ grassland (Coblin)
sug2 „plural stem of gub [to stand]“
སོག་པ་ „sog-pa“ heap up, shoulder
sug4 „stalk of grain …“
སོག་མ་ „sog-ma“, blade, stalk, straw
Andererseits findet man oft kein Gegenstück, z.B. für „id“ (Fluß) oder „itud“(Mond).
Manchmal jedoch klären sich solche Probleme wie von selbst. „ud“ (Sonne, Licht) versteckt sich im tibetischen འོད་ „‘od“ (Licht), während Sonne ཉི་མ་ „nyi-ma“ heißt.
W.S.Coblin hatte schon 1986 die Anbindung des Tibetischen ans Chinesische gesichert.
Ein weiterer Beweis für die genetische Verwandtschaft ist die gleichartige Verschiedenheit mehrerer Wörter einer Bedeutungsgruppe. „bar2“heißt neben vielem anderen sumerisch und འབར་ „‘bar“ tibetisch „brennen“; „ma5“ und མེ་ „me“ bezeichnet „Feuer“ und „tab“/“thab“ in beiden Sprachen „Feuerstelle“ oder „Herd“.
Das Sumerische ist eine Ergativ-Sprache
Das Sumerische gehört wie das urtümliche Tibetisch zu den Ergativ-Sprachen, das heißt, das handelnde Subjekt steht im Ergativ (sum. Endung -e), der Akkusativ bleibt unbezeichnet. Die übrigen nachgestellten Kasuspartikel zeigen in beiden Sprachen eine bemerkenswerte Ähnlichkeit: Genitiv sum. -e, -k, -ak (tib. -i, -gi, -kyi), Lokativ -a, -ni- (tib. -na), Dativ -ra, -na- (tib. -la, -nas) usw.
Wie schon Karl Bouda 1938 feststellte, läßt sich an zweilautigen Wörtern kaum eine Entsprechung beweisen. Ich habe mich daher auf die Wörter des Typs CVC (Konsonant-Vokal-Konsonant) beschränkt. Sie können aus 15 möglichen Anlauten, 11 Auslauten und den Vokalen a, e, i und u gebildet werden. Von den 660 möglichen Verbindungen wurden aber nur etwa 165 ausgenutzt, viele allerdings mit mehrfachen Bedeutungen belegt. Für die fettgedruckten Silben habe ich bisher mindestens eine ähnliche, phonetisch auch ableitbare Bedeutung im Tibetischen gefunden, insgesamt etwa die Hälfte:
bad, bal, ban, bar, bil, bir, biz, bul, bur, dab, dag, dah, dal, dam, dar, dib, dig, dim, dub, dug, duh, dul, dur, gag, gaĝ, gal, ĝal, gam, gaz, ĝen, gib, gid, gig, giĝ, gin, ĝir, gub, gud, gug, gul, gun, gur, hab, hal, har, haz, hub, hul, hum, hur, huš, kag, kal, kam, kan, kar, keš, kib, kid, kin, kir, kiš, kud, kug, kul, kum, kun, kur, kuš, lag, lah, lal, lam, lil, lug, luh, lul, mah, man, mar, maš, maz, min, mir, mud, mug, mul, mun, mur, muš, nab, naĝ, nam, nar, nen, nig, niĝ, nim, nin, nir, nud, nug, pab, pad, pag, pah, peš, pil, rag, rah, rig, rin, rum, šab, sag, saĝ, šag, sah, sal, sar, šar, sed, šed, šeĝ, šeš, šid, sig, sil, sub, šub, sud, sug, suh, sum, šum, sun, sur, šur, šuš, tab, tag, tal, tam, tar, teĝ, ten, teš, til, tug, tul, tum, tun, tuš, zag, zah, zal, zid, zig, zil, zir, ziz, zuh, zur.
Als Beispiel mag das schon erwähnte Wort „sug“ genügen. Ob es noch feinere Unterschiede in der Lautung gab, läßt sich aus den keilschriftlichen Wortbildern und Symbolen nicht ableiten. Die Tibeter unterscheiden beispielsweise im Muster „bal“ bei gleichem l-Auslaut fünf Vokale a, e, i, o, u und die Anlaut-Konsonanten p, p‘, b, deren Erweiterung py, p’y, by; pr, p’r, br sowie etliche Konsonanten-Präskripte, die wohl von irgendwelchen Vorsilben herrühren. Das einsatzlose tibetische འ (à-), auch zur Bezeichnung des Präsens verwendet, könnte vom sumerischen i- abstammen: ĝae i-kur-en „ich trat ein“.
Ebenso könnte das tibetische Präskript m, das sich häufig vor Substantiven und Verben findet und einen Akteur bezeichnet (mkhan „Experte“), ein erstarrtes Ventiv-Präfix „mu“ oder „m“ aus dem Sumerischen sein, das die Hinwendung des Verbs zum gedachten Subjekt bezeichnet.
Sigmar Salzburg
13.09.2022